Rechte Jugend? Queerfeindlichkeit und andere rechte Narrative unter Heranwachsenden

Queerfeindliche Angriffe auf Pride-Paraden zeugen ebenso wie rechte Vorfälle an Schulen von der Verbreitung rechter Deutungsmuster im Alltag junger Menschen – online und offline. 

Von Juliane Lang, Paula Matthies, Marie Reusch und Viktoria Rösch

Rechte Vorfälle

Die Angriffe junger Neonazis auf Pride-Paraden im Sommer 2024 gelten rückblickend als Beginn einer Welle neonazistischer Bedrohungen gegen queere Veranstaltungen und als Orte politischer Mobilisierung junger Neonazis. Was die Demonstrationen kennzeichnet, ist das jugendliche Alter und die zunächst lose Organisierung der Teilnehmenden. Sicherheitsbehörden warnen in der Zwischenzeit vor einer neuen Radikalisierung junger Menschen.

Die Angriffe gaben dem Ausdruck, wovon Lehrer:innen und Sozialarbeiter:innen schon zuvor sprachen: die Verbreitung rechter Einstellungen unter Kindern und Jugendlichen. In Burg (Süd-Brandenburg) problematisierten Lehrer:innen bereits 2023 öffentlich rechtsextreme Vorfälle auf den Schulhöfen von Grund- und Oberschule, und gerieten kurze Zeit später selbst in den Fokus rechter Angriffe gegen ihre Person. In Gießen (Hessen) waren es die Schüler:innen einer Oberschule selbst, die auf rechte, rassistische und antisemitische Äußerungen von Mitschüler:innen reagierten. Hinzu kommt die politische Mobilisierung von Queerfeindlichkeit durch die konservative und extreme Rechte und ein queerfeindliches Grundrauschen, welches die Debatten um geschlechtergerechte Sprache oder das vom Bundestag verabschiedete Selbstbestimmungsgesetz begleiten. 

 

Neue Normalität rechter Codes unter Jugendlichen

Mit Blick auf das jugendliche Alter derer, die sich hier politisch radikalisieren, hält eine Sozialarbeiterin fest: „Es ist eine Generation, die in einer Zeit politischer und gesellschaftlicher Krisen aufgewachsen ist – Pandemie, Kriege, soziale Umbrüche. Gleichzeitig entwickelt sich ihr politisches Bewusstsein derzeit in einer Gesellschaft, in der rechtsextreme Diskurse immer präsenter werden, insbesondere in den sozialen Medien. Dort agieren rechtsextreme Akteure sehr zielgerichtet und geschickt". Seit mehr als zehn Jahren betreibt die extreme Rechte (in unterschiedlichen Allianzen und mit unterschiedlichen Akteur:innen) ihren (meta-)politischen Kampf in den Sozialen Medien. Content wird nicht nur von Führungsfiguren gepostet, sondern von den Jugendlichen selbst. Ein Blick in TikTok und Instagram zeigt, dass Nazi-Symboliken Teil der Jugendkultur geworden sind. Dazu gehören sichtbare Tattoos wie die der Schwarzen Sonne, Blitz-Emojis als Anspielung auf die SS oder Posen mit dem White-Power-Zeichen. Auch Hashtags wie #1161 (für „Anti-Antifa“) werden als Elemente der jugendlichen Selbstdarstellung genutzt. Die Entscheidung einiger Plattformen, fortan auf die Durchsetzung strenger Communityrichtlinien zu verzichten, hat dies noch verstärkt. Die offenen Nazi-Symboliken, wie die Reichskriegsflagge, Gewaltaufrufe gegen Linke und queere Personen oder das Spiel mit rechtsextremen Codes wie der „88“ finden sich nicht nur versteckt, sondern ganz öffentlich auf TikTok und Instagram. Hinzu kommt: Die Bildschirmzeit junger Menschen hat sich in den letzten Jahren sukzessive erhöht, sie verbringen mehr Zeit vor dem Bildschirm als vor den Jahren der Pandemie.

Die Jugendlichen erleben in den Sozialen Medien und jenseits davon, wie die AfD trotz zunehmender Radikalisierung an Bedeutung im politischen Raum gewinnt. Sie können in Echtzeit beobachten, wie sich Diskurse um Migration, aber auch im Bereich der Geschlechterpolitik, nach rechts verschieben – und wie demokratische Parteien hier entweder mitmachen oder der Diskursverschiebung ohnmächtig gegenüberstehen. 

 

Queere Sichtbarkeit

Die plakative Queerfeindlichkeit, die sich in Bannern mit dem Aufdruck „Es gibt nur zwei Geschlechter“ oder „Weiß, deutsch, heterosexuell“ ausdrückt, gibt Aufschluss über die Bedeutung von Geschlecht und geschlechtlicher Identität in der Mobilisierung rechtsaffiner junger Menschen. Und auch hier lohnt der Blick auf die Erfahrungen einer Generation, die wie keine andere zuvor mit den Früchten emanzipatorischer Geschlechterpolitiken aufgewachsen ist: Sozialen Bewegungen ist es im vergangenen Jahrzehnt gelungen, feministischen Forderungen Nachdruck zu verleihen. Mit #metoo ist eine lautstarke Bewegung entstanden, die sexualisierte Gewalt gegen Frauen öffentlich machte und den Tätern die Deutungshoheit streitig machte. Andere Soziale Bewegungen wie #blacklivesmatter waren und sind geprägt von jungen Frauen und Queers, die selbstbewusst auftreten und nach politischen Antworten verlangen. Und queere Symbole wie die Regenbogenfahne schmücken sichtbar die Produkte und Auftritte kapitalistischer Großunternehmen. In Einhorn-Metaphern wird jungen Menschen vermittelt: Du kannst alles werden – sofern Du Dich nur genug anstrengst. 

Die Realität vieler junger Menschen sieht anders aus. Sie blicken mit mehr Sorgen und weniger Sicherheiten in die Zukunft, als sie es früher getan haben. Ihnen verheißt der Blick zurück in ein Damals, welches sie den Erzählungen ihrer Großeltern entnehmen, womöglich mehr Sicherheit und Orientierung als das risikobehaftete Angebot, sich selbst zu verwirklichen.

Zusätzlich entstand in den letzten Jahren eine gegenemanzipatorische Bewegung, die der Sichtbarkeit queerer Lebenswelten und insbesondere der Infragestellung klassischer Geschlechterrollen entgegentrat. Rechte Akteure politisieren die Liberalisierung der Geschlechterverhältnisse und formulieren Deutungsmuster für all jene, die sich nicht repräsentiert fühlen. Diese Deutungsmuster kondensieren sich in Feindbildern eines „Anti-Woke“ oder „Anti-Gender“ und knüpfen an gesellschaftlich geteilte Ressentiments an. So stimmten in der Leipziger Autoritarismus-Studie 2024 43% der Befragten der trans*feindlichen Aussage zu, „In Deutschland übertreiben es viele mit ihrer Toleranz gegenüber Transsexuellen.“, weitere 26% lehnten diese Aussage zumindest nicht ab. Auch die Dimensionen Sexismus und Antifeminismus erfahren hohe Zustimmungswerte. Es ist somit davon auszugehen, dass junge Menschen vertraut sind mit Deutungsmustern, die frauen- und queerfeindliche Ressentiments beinhalten. Es ist Teil einer Normalität, Frauen und Queers abzuwerten – und deswegen so leicht zu mobilisieren, um Sorgen und Unsicherheiten angesichts der sozio-ökonomischen Verhältnis umzulenken.

 

Zur Bedeutung Sozialer Medien 

Jugendliche, die auf der Suche nach Autonomie, aber auch Orientierung und Sicherheit sind, finden in den Sozialen Medien rechte Deutungen gesellschaftlicher Problemlagen in jugendaffinen Formaten. Die rechten Deutungsmuster finden Eingang in den Austausch mit anderen Peers, und erfahren hierüber an Wirkmächtigkeit. Sie leben von Komplexitätsreduktion und Vereindeutigung: Geschlechterdualismus statt Geschlechtervielfalt. In Zeiten wachsender Zukunftsangst verspricht Heranwachsenden dies eine vermeintliche Sicherheit und Orientierung. Insbesondere die rechten Ansprachen an junge Männer leben von Anrufungen an resouveränisierte Männlichkeit und dem Aufruf, sich angesichts der Ohnmacht der demokratischen Parteien selbst zu organisieren, und zwar rechts. Damit knüpfen sie an ein Versprechen jugendlicher Autonomie an. Zugleich ist es wichtig zu betonen, dass nicht alle Jugendlichen, die in Kontakt mit rechten Deutungsangeboten kommen, auch selbst rechts werden. Innerhalb von Hinwendungsprozessen nimmt das Zusammenspiel aus familiengeschichtlichen, biografischen und sozialen/situativen Aspekten eine zentrale Rolle ein.

Über Soziale Medien werden Orientierungs- und Deutungsangebote für Jugendliche unterbreitet, die auf der Suche sind. Durch die Struktur sozialer Medien können Inhalte nahtlos an die Erfahrungswelt Jugendlicher anknüpfen. Peers und Influencer*innen geben vermeintlich persönliche Einblicke in ihren Alltag, verknüpfen diese mit politischen Botschaften und inszenieren Rechtssein als Teil eines Lifestyles. Diese Dynamik entsteht im Zusammenspiel von lokal präsenten Bezugspersonen und der Programmatik rechter Parteien, Organisationen und Gruppierungen. Parteien wie die AfD adressieren dabei mitnichten nur den „harten rechten Kern“, sondern schaffen Identifikationsangebote in Geschlechterfragen auch für sich progressiv verstehende Rechte wie etwa junge, lesbische Frauen, die sich mit Alice Weidel identifizieren, oder junge Männer, die von sich sagen, sie seien „schwul, aber nicht woke“. 

Ein weiterer Aspekt kommt hinzu aus Sicht derer, die rechte Inhalte nicht nur konsumieren, sondern auch produzieren: Der eigene Account bietet die Möglichkeit, sich politisch auszuprobieren. Die Selbstpräsentation in den Sozialen Medienwird so zu einem Mittel der Orientierung und Selbstpositionierung innerhalb umkämpfter Geschlechterverhältnisse.  

 

Jugend als Seismograph

Wir möchten vermeiden, mit dem Blick auf die Jugend die Debatte zu verkürzen. Womöglich handelt es sich bei den oben beschriebenen aktuellen Dynamiken um gesellschaftliche Entwicklungen, die uns durch das Prisma auf die Jugend lediglich einfacher zugänglich ist. So verschiebt sich die Debattenkultur doch auch jenseits davon sukzessive nach rechts, und wenden sich auch Personen jenseits der 30 rechten Deutungsmustern zu. Die Jugend ist hier womöglich viel mehr ein Seismograph für aktuelle gesellschaftliche Dynamiken und die Effekte einer Politik, die das Fortschritts- und Wohlstandsversprechen vorheriger Generationen immer weniger aufrecht halten und einlösen kann.