Die Attraktivität autoritärer Männlichkeiten im neoliberalen Kapitalismus

Autoritäre Männlichkeiten haben Konjunktur. Doch was sind die gesellschaftlichen Verhältnisse, die diese Entwicklung begünstigen und hervorbringen?

Autoritäre Männlichkeiten haben Konjunktur: Seien es Wahlerfolge rechts-autoritärer Politiker mit antifeministischen Positionierungen und Strongman-Inszenierungen oder die großen Reichweiten von sexistischen und misogynen Influencern wie Andrew Tate. Rechte und autoritäre Männlichkeitsinszenierungen fallen auf fruchtbaren Boden und scheinen für Mobilisierungserfolge extrem rechter Akteur*innen derzeit besonders förderlich.

Bei Einstellungen zu geschlechtlicher und sozialer Gleichstellung deutet sich nach einer allgemeinen Liberalisierung seit den 1980er Jahren für das vergangene Jahrzehnt eine abweichende Entwicklung an. Während (junge) Frauen zunehmend gesellschaftlich progressive Einstellungen vertreten, scheinen (junge) Männer wieder mehr und mehr konservativ eingestellt (Burn-Murdoch, 2024). Antifeministische Einstellungen nehmen in Deutschland zu (Höcker et al., 2020) und unter überzeugten Maskulinisten sind Männer unter 40 besonders stark vertreten (Wippermann, 2023). 

Diese Entwicklungen deuten darauf hin, dass eine Liberalisierung von Geschlechterpolitiken aktuell infrage gestellt wird und insbesondere junge Männer von Vorstellungen hierarchischer und heteronormativer Zweigeschlechtlichkeit und rigiden Geschlechterbildern angesprochen werden. Doch was sind die gesellschaftlichen Entwicklungen, die die Konjunktur autoritärer Männlichkeiten begünstigen und hervorbringen? 

 

Männlichkeiten unter Transformationsdruck

Die Konstruktion von Männlichkeit unter industriegesellschaftlichen Bedingungen ist von einer geschlechtlichen Arbeitsteilung geprägt, in der männliche Identität maßgeblich auf Erwerbstätigkeit sowie die Versorgung durch die Ehefrau aufbaut (Meuser & Lengersdorf, 2016). Die Transformationen im Zuge des Neoliberalismus seit den 1970er Jahren verlaufen entlang einer komplexen Verstrickung von feministischen Emanzipationsbewegungen und gleichzeitiger Zuspitzung kapitalistischer Ausbeutung. Mit letzterer ist eine Zunahme prekärer Beschäftigungsverhältnisse, Absenkung der Reallöhne, zunehmender sozialer Ungleichheit und einem Rückbau sozialer Sicherungssysteme verbunden. Für Männer bedeuten die feministischen Errungenschaften eine (zumindest teilweise) Infragestellung der Normalität männlicher Vorherrschaft innerhalb der heterosexuellen Kleinfamilie und der Erwerbssphäre als männliche Domäne. Der Abbau des Sozialstaates und die Zunahme prekärer Beschäftigung bedeutet nicht nur eine ökonomische Verunsicherung, sondern auch eine Verunsicherung der männlichen Erwerbsidentität und des darin Versorgt-Werdens (Penz & Sauer, 2023). Auch die Veränderung des Arbeitsmarktes hin zu einer wissensbasierten Dienstleistungsgesellschaft geht mit veränderten Anforderungen einher, hin zu mehr emotionalen und kommunikativen Kompetenzen (Penz & Sauer, 2023). Die Transformation der Geschlechterverhältnisse im neoliberalen Kapitalismus bedeuten aber auch für (weiße cis) Männer eine Pluralisierung männlicher Lebensentwürfe. Indizien hierfür sind Wünsche nach aktiver Vaterschaft, eine Orientierung an Aushandlungsnormen, wenn es um Fragen der Beziehungs- und Familiengestaltung geht, eine Normalisierung schwuler Lebensweisen oder – wenn auch für einen (immer noch kleinen) Teil von Männern – eine Abkehr von dem Ideal der Vollerwerbstätigkeit. 

 

Enttäuschte Ansprüche

Die Lebenswirklichkeiten von Männern im neoliberalen Kapitalismus gehen teilweise mit einer Infragestellung männlicher Vorherrschaft und Verunsicherung männlicher Erwerbsidentität einher, bei zugleich weitgehender Beständigkeit hegemonialer Männlichkeitsnormen und –versprechen eines Familienernährers. Dieses Spannungsverhältnis bildet den Nährboden für Deutungen der gesellschaftlichen Position von Männern als Benachteiligte, die unrechtmäßigen Anforderungen ausgesetzt seien. Als „enttäuschte Ansprüche“ (aggrieved entitlements) hat der Männlichkeitsforscher Michael Kimmel (2013) die Vorstellung von selbstverständlichen Ansprüchen von Männern gegen(über) Frauen beschrieben, auf deren Grundlage sich die affektive Lage der „angry white men“ entwickelt: Männer haben demnach ein Vorrecht gegenüber Frauen auf einen Lohnarbeitsjob und ein besseres Gehalt. Für Männer ist wettbewerborientiertes Verhalten normal, Frauen sollten dagegen „mit bestimmten Formen emotionaler, sozialer, häuslicher, sexueller und reproduktiver Arbeit betraut werden“ (Manne, 2020, S. 97). Das Gefühl der politischen Benachteiligung von Männern speist sich aus den weiterhin vorherrschenden Vorstellungen einer hierarchischen Zweigeschlechtlichkeit. Der gefühlte Anspruch auf männliche Vorherrschaft vermengt sich mit Leid- und Verunsicherungserfahrungen im Zuge des neoliberalen Transformationsprozesses (Kimmel, 2013, S. 33).

 

Gekränkte Freiheit

Autoritäre Männlichkeiten sind jedoch nicht lediglich als Abwehr dieser neoliberalen Transformationsprozesse zu verstehen. Sie greifen vielmehr die Freiheitsversprechen des Liberalismus auf – allerdings autoritär gewendet.  Untersuchungen zu Teilnehmer*innen an Demonstrationen gegen die staatlichen Corona-Maßnahmen (Amlinger & Nachtwey, 2023) zeigen, dass das Gefühl einer „gekränkten Freiheit“ eine Antriebsfeder hinter diesen Protesten ist. Mit den hier vertretenen Freiheitsvorstellungen wird Freiheit als individueller Besitz verstanden und vor gesellschaftliche ausgehandelte Freiheitsgrade gestellt. Strukturelle Abhängigkeiten des modernen Individuums, wie sie im gesellschaftlichen Umgang mit z.B. der Corona-Pandemie, der Klima-Krise oder auch mit einer demokratischen Gestaltung heterosexueller Beziehungen sichtbar zum Vorschein kommen, werden geleugnet und mit der Haltung einer gekränkten Freiheit zurückgewiesen. Amlinger und Nachtwey bezeichnen dieses Muster als „libertären Autoritarismus“, mit dem die Haltung verbunden ist, dass sich die Umwelt narzisstischen Freiheitsbedürfnissen anzupassen habe. Zwar zeigen sich Menschen mit dieser Haltung offen und tolerant, wenn es um Fragen der individuellen Lebensgestaltung geht, doch hängen sie umso deutlicher Verschwörungserzählungen an, denen zufolge Feminist*innen und andere „Woke“ als Strippenzieher einer „Diktatur der Minderheiten“ gegenüber einer vermeintlichen Mehrheit in Form des einfachen Volks imaginiert und angegriffen werden.

 

Affinität zum libertären Autoritarismus

Das Muster der gekränkten Freiheit weist – so unsere These – eine besondere Affinität zur hegemonialen Männlichkeit auf. Das Versprechen von Autonomie und Souveränität, wie es eng mit der hegemonialen Konstruktion von Männlichkeit verbunden ist, zeigt Ähnlichkeiten zur Vorstellung von Freiheit als individuelles Eigentum im Muster eines „Libertären Autoritarismus“. In dieser Affinität sehen wir einen Grund für die aktuelle Anziehungskraft rechter und autoritärer Männlichkeitsangebote. Sie knüpfen an tradierte Vorstellungen männlicher Vorrechte an, weisen Verunsicherungen und strukturelle Abhängigkeiten sowie Infragestellungen männlicher Vorherrschaft zurück bzw. rufen zu deren Verteidigung auf und verbinden sie mit individualistischen Freiheitsvorstellungen. Strukturelle Abhängigkeiten werden dabei wie eh und je negiert: die Abhängigkeit von natürlichen Ressourcen sowie von Formen der Fürsorge und Versorgung. Das Versprechen autoritärer Männlichkeit, eine narzisstische Freiheit und Souveränität aufrechtzuerhalten und gegenüber Infragestellungen abzusichern, scheint in aktuellen Transformationsprozessen an Attraktivität zu gewinnen.

Literatur

Amlinger, C. & Nachtwey, O. (2023). Gekränkte Freiheit: Aspekte des libertären Autoritarismus (1. Auflage). suhrkamp taschenbuch: Bd. 5363. Suhrkamp. 

Burn-Murdoch, J. (26. Januar 2024). A new global gender divide is emerging: Young men and young women’s world views are pulling apart. The consequences could be far-reaching. Financial Times. www.ft.com/content/29fd9b5c-2f35-41bf-9d4c-994db4e12998

Höcker, C., Pickel, G. & Decker, O. (2020). 8. Antifeminismus – das Geschlecht im Autoritarismus? Die Messung von Antifeminismus und Sexismus in Deutschland auf der Einstellungsebene. In O. Decker & E. Brähler (Hrsg.),Forschung psychosozial. Autoritäre Dynamiken: Alte Ressentiments - neue Radikalität: Leipziger Autoritarismus Studie 2020 (Originalausgabe, S. 249–282). Psychosozial-Verlag. doi.org/10.30820/9783837977714-249

Kimmel, M. S. (2013). Angry white men: American masculinity at the end of an era. Bold type Books. 

Manne, K. (2020). Down girl: Die Logik der Misogynie (U. Bischoff, Übers.) (Erste Auflage). Suhrkamp-Taschenbuch Wissenschaft: Bd. 2319. Suhrkamp. 

Meuser, M. & Lengersdorf, D. (2016). Männlichkeiten und der Strukturwandel von Erwerbsarbeit in globalisierten Gesellschaften: Diagnosen und Perspektiven. Beltz Juventa. krimdok.uni-tuebingen.de/record/863711162 

Penz, O. & Sauer, B. (2023). Konjunktur der Männlichkeit: Affektive Strategien der autoritären Rechten (1. Aufl.). Campus Verlag. 

Wippermann, C. (Oktober 2023). Männerperspektiven: Einstellung von Männern zu Gleichstellung und Gleichstellunfpolitik. DELTA -Institut für Sozial- und Ökologieforschung GmbH.