Warum sich die Wissenschaft so schwer tut im institutionellen Umgang mit rechten Angriffen

Anlässlich der Online-Tagung „Wer schützt hier eigentlich wen? Zum institutionellen Umgang mit rechten Angriffen gegen die Wissenschaft“ werden in diesem Artikel Thesen diskutiert, warum es manchen Hochschulen schwerfällt, mit rechten Angriffen umzugehen.

Von Marie Reusch

Der rechte Kulturkampf macht vor Hochschulen und der Wissenschaft nicht Halt: Bildung, Forschung und Lehre geraten zunehmend in den Fokus rechter Aufmerksamkeit und Angriffe, rechte Narrative werden in wissenschaftliche Diskurse hineingetragen, und Menschen mit rechten Einstellungen und solche, die in der rechten Szene organisiert sind, werden im sozialen Umfeld der Wissenschaft sichtbarer. Rechte Angriffe gegen die Wissenschaft und gegen Wissenschaftler*innen nehmen dabei vielfältige Formen an: (gezielte) Provokationen, Störversuche und Störungen in der Lehre, rechte Propaganda an Hochschulen, Stalking und Bedrohung in sozialen Medien, mediale Kampagnen in den klassischen Medien, „SLAPPing“ (Einschüchterungs- oder Unterlassungsklagen), rechte Versammlungen auf dem Campus, Verleumdung bei Vorgesetzten oder in der Verwaltung, das Androhen oder Ausüben von Gewalt gegen Personen und Forschungseinrichtungen.

Erstaunlicherweise reagieren viele Institutionen und Diskurse der Wissenschaft eher verhalten auf diese und ähnliche Anfeindungen, die seit Jahren beobachtbar sind. Einzelne Hochschulen und Wissenschaftsgremien positionieren sich anlassbezogen für die liberale Demokratie und gegen Rechtsextremismus– so etwa nach der Veröffentlichung der Correctiv-Recherchen über das sog. Potsdamer Geheimtreffen, das Verbindungen der extremen Rechten auch in die deutsche Wissenschaft publik gemacht hat. Der konkrete Umgang mit der Bedrohung der Wissenschaft durch rechte Akteure und der Schutz von Wissenschaftler*innen vor rechten Angriffen allerdings hinkt deutlich hinterher: Augenscheinlich tun sich viele Institutionen der Wissenschaft nicht nur schwer mit klaren Worten, sondern auch mit der Entwicklung von (primär- und sekundärpräventiven) Strategien und der Institutionalisierung von Schutzmaßnahmen.

Diese Beobachtung war dem GERDEA-Verbund Anlass und Ausgangspunkt für eine Tagung, die sich unter der Fragestellung „Wer schützt hier eigentlich wen?“ dem Phänomen rechter Angriffe gegen die Wissenschaft und der Frage nach Schutz widmete. Die Tagung fand am 9. Oktober 2024 online statt und brachte über 100 Wissenschaftler*innen und Praktiker*innen zusammen, die sowohl die Anfeindungen der Wissenschaft von rechts als auch den sehr vorsichtigen institutionellen Umgang mit diesen rechten Angriffen kritisch beobachten und analysieren, sich den Anfeindungen entgegenstellen und den institutionellen Schutz mitgestalten. Indem Vortragende und Teilnehmende begriffliche Annäherungen an das Phänomen zur Diskussion stellten, erste empirische Befunde präsentierten und von praktischen Ansatzpunkten berichteten, mit denen an verschiedenen Hochschulen auf die Gefahr rechter Angriffe reagiert wird, machten sie die Tagung zu einem Ort, der eine überfällige Debatte bündelte. Dabei schälten sich verschiedene Erkenntnisse heraus, von denen im Folgenden zwei in Form von Thesen verdichtet werden. Sie erklären, warum sich die Wissenschaft – als System der methodengeleiteten Erringung von Erkenntnis genauso wie als soziales Feld – so schwer tut im institutionellen Umgang mit rechten Angriffen und der Etablierung von Schutz.

 

Warum fällt es der Wissenschaft so schwer, sich zu positionieren? 

These 1: Die Wissenschaft – als System der methodengeleiteten Erringung von Erkenntnissen – wird mit ihren eigenen Waffen geschlagen

Die Wissenschaft ist ein System, das mit spezifischen methodengeleiteten Vorgehensweisen Erkenntnis erringen will. Diese Vorgehensweisen folgen anderen Logiken als die politische Debatte, und eine weithin vorherrschende Ansicht ist, dass sie objektiv und werturteilsfrei zu sein habe. Wenngleich diese Setzung seit langem heftiger Kritik unterliegt und u.a. von feministischen und dekolonialen Theoretiker*innen als Illusion und Herrschaftsmoment identifiziert wird (etwa Haraway 1996, Mignolo 2012), überlebt die Aura der Objektivität der Wissenschaft und wird erfolgreich weiter reproduziert. Es ist jedoch genau dieses Selbstverständnis der Wissenschaft, das von Rechten instrumentalisiert und gegen eine Positionierung der Wissenschaft im Kampf gegen Rechtsextremismus gewendet wird. Das Narrativ der Rechten lautet: Gerade, weil die Wissenschaft unpolitisch und überparteilich sein muss, darf sie sich nicht positionieren – auch nicht gegen rechts. Rechte Akteur:innen greifen auf Begriffe und Konzepte wie Objektivität und Neutralität zurück, die der wissenschaftlichen Logik selbst entstammen, und instrumentalisieren diese für ihren Kulturkampf. Ein gefährlicher Effekt dieser Strategie ist, dass sich die Wissenschaft in der Sorge, gegen den (Selbst-)Anspruch auf Objektivität zu verstoßen, mitunter um ihre Stimme bringt, Selbstzensur begeht oder rechten Akteur:innen widerstandslos das Feld überlässt. Beispiele hierfür, von denen auf der Tagung berichtet wurde, sind Wissenschaftler*innen, die verunsichert sind, ob sie an Demos gegen rechts teilnehmen dürfen; Universitäten, die rechten Akteur:innen ihre Veranstaltungsräume zur Verfügung stellen, um nicht dem Vorwurf der „Cancel Culture“ ausgesetzt zu werden; und Dozent*innen, die ihren Studierenden raten, in der Examensarbeit sicherheitshalber keine geschlechtergerechte Sprache zu verwenden.

Die Eigenlogiken des Systems Wissenschaft werden auch dann instrumentalisiert, wenn rechte Akteur:innen das Grundrecht auf Wissenschaftsfreiheit argumentativ in Anspruch nehmen (vgl. Gözen 2021). Mit dem Verweis auf eine Verteidigung der Wissenschaftsfreiheit gegen vermeintlichen politisch-ideologischen oder moralisch-weltanschaulichen Druck können so rassistische, trans*-feindliche und andere menschenfeindliche Positionen gegen Kritik immunisiert werden. Letztlich werden so zwei Grundrechte gegeneinander ausgespielt, die für die Wissenschaft und die Qualität ihrer Erkenntnisse fundamental wichtig sind: das verfassungsrechtlich verbriefte Grundrecht auf Wissenschaftsfreiheit und das im Allgemeinen Gleichstellungsgesetz zugesprochene Recht auf Diskriminierungsfreiheit (vgl. Theiding 2024).

 

These 2: Die soziale Organisation von Hochschulen erschwert den Umgang mit rechten Anfeindungen

Der Umgang der Wissenschaft mit rechten Angriffen sowie die Etablierung von Schutzmaßnahmen zeichnet sich, wie eingangs beschrieben, mitunter durch eine institutionelle Schwerfälligkeit aus. Außerdem kann eine gewisse Sprachlosigkeit beobachtet werden –viele Einrichtungen der Wissenschaft ringen augenscheinlich damit, wie sie auf den rechten Vormarsch reagieren. Beides hat auch mit den Eigenheiten der Wissenschaft als soziales Feld zu tun (vgl. Haker/Otterspeer 2023). Zum einen ist hier die Tatsache relevant, dass Hochschulen stark vermachtete, hierarchische Institutionen sind, in denen zahlreiche Wissenschaftler*innen unter prekären Bedingungen und in starken Abhängigkeiten arbeiten (Bahr/Eichhorn/Kubon 2022). Prekäre Arbeitsbedingungen in hierarchischen Strukturen erzeugen Anpassungsdruck und stehen somit dem Engagement einzelner Wissenschaftler*innen, sich gegen rechts zu positionieren und aktiv zu werden, im Wege. Starke personale Abhängigkeit, etwa gegenüber Vorgesetzten oder Betreuer*innen in Qualifikationsphasen, erschweren es darüber hinaus, Vorfälle öffentlich zu machen und institutionellen Schutz einzufordern. Die soziale Organisation von Wissenschaft als Betrieb erschwert damit eine klare Positionierung und einen proaktiven Umgang mit rechten Angriffen.

Zum anderen scheint es unter manchen Wissenschaftler*innen die Hoffnung zu geben, der Vormarsch der Rechten mache vor den Toren der Wissenschaft halt. In der Tat stellen Hochschulen eine Blase dar, von der mit guten Gründen angenommen werden kann, dass hier prozentual weniger Personen ein gefestigt rechtes Weltbild vertreten als die 8%, die die Mitte-Studie für die Gesamtgesellschaft diagnostiziert (vgl. Zick et a. 2023). Gleichzeitig sind Hochschulangehörige eben nicht gefeit vor latenten oder manifesten rassistischen, antisemitischen, trans*feindlichen und sonstigen menschenverachtenden Einstellungen, die die Voraussetzung für entsprechende Handlungen bzw. ihre Duldung sind. Zudem finden sich auch an Hochschulen Personen, die in der rechten Szene organisiert sind: Hier studieren, promovieren und lehren Vertreter der intellektuellen Rechten und ihres Nachwuchses; hier schließen sie sich zu Hochschulgruppen und Verbindungen zusammen (vgl. ex. Leidinger/Radvan 2019).

Davon auszugehen, dass Hochschulen sichere Orte seien, die es nur zu verteidigen gilt, bedeutet, zu übersehen, dass in der Wissenschaft das stattfindet, was auch in anderen gesellschaftlichen Bereich beobachtbar ist: ein Kampf um Deutungen, Diskurse, Macht und Räume mit dem Ziel, die Grundlagen der liberalen Demokratie und der offenen Gesellschaft zu unterminieren (Schilk 2022). Und dieser Kampf wird eben nicht nach den anerkannten Regeln (seien es die der Wissenschaft oder die der Demokratie) geführt. Es ist eine illusorische Hoffnung, dass der rechte Kulturkampf (im Bereich Wissenschaft und anderswo) diskursiv eingefangen werden könnte. Das Beharren auf rationale Auseinandersetzungen und die Kraft des besseren Arguments läuft ins Leere, wenn man es mit Akteuren zu tun hat, die den wissenschaftlichen Betrieb bewusst stören wollen.

Literatur

Bahr, A., Eichhorn, Kristin, & Kubon, Sebastian. (2022). #IchBinHanna: Prekäre Wissenschaft in Deutschland (Originalausgabe). Suhrkamp Verlag.

Gözen, Jiré Emine. (2021). Identitätspolitik mit anderen Mitteln. Wessen Freiheit soll geschützt werden? - Essay. Aus Politik und Zeitgeschichte, 46. https://www.bpb.de/shop/zeitschriften/apuz/wissenschaftsfreiheit-2021/343226/identitaetspolitik-mit-anderen-mitteln/

Haker, C., & Otterspeer, L. (2023). Wissenschaftsbezogener Rechtspopulismus/-extremismus an Hochschulen – Perspektiven von Betroffenen. ZRex – Zeitschrift für Rechtsextremismusforschung, 3(1), 102–117. https://doi.org/10.3224/zrex.v3i1.07

Haraway, Donna. (1996). Situiertes Wissen. Die Wissenschaftsfrage im Feminismus und das Privileg einer partialen Perspektive. In E. Scheich (Hrsg.), Vermittelte Weiblichkeit. Feministische Wissenschafts- und Gesellschaftstheorie (S. 217–248). Hamburger Edition.

Leidinger, C., & Radvan, H. (2019). Rechtsextremismus und völkischer Autoritarismus an Hochschulen. FEMINA POLITICA - Zeitschrift für feministische Politikwissenschaft, 28(1–2019), 142–147. https://doi.org/10.3224/feminapolitica.v28i1.16

Mignolo, W. D. (2012). Epistemischer Ungehorsam: Rhetorik der Moderne, Logik der Kolonialität und Grammatik der Dekolonialität. Verlag Turia + Kant.

Schilk, Felix. (2022). Rechte Hegemoniestrategien in Theorie und Praxis. In M. Trömmer & W. Schroeder, Rechtspopulismus. Zivilgesellschaft. Demokratie (S. 97–112). Dietz.

Theiding, Leonie (2024): Kontroverse um freie Wissenschaft: Interview mit Katharina Völsch. In: Philipp. Studentisches Magazin um Stadt und Uni Marburg. philippmag.de/kontroverse-um-freie-wissenschaft-interview-mit-ansprechperson-fuer-antidiskriminierung-und-antisemitismus-an-der-uni-marburg

Zick, A., Küpper, B., Mokros, N., & Achour, S. (2023). Die distanzierte Mitte: Rechtsextreme und demokratiegefährdende Einstellungen in Deutschland 2022/23 (F. Schröter, Hrsg.; 2. korr. Auflage). Dietz.