Wie institutioneller Schutz vor rechten Angriffen gegen die Wissenschaft besser gelingen kann

Die Online-Tagung „Wer schützt hier eigentlich wen? Zum institutionellen Umgang mit rechten Angriffen gegen die Wissenschaft“ hat sich neben einer kritischen Bestandsaufnahme der Frage gewidmet, worauf es bei der weiteren Etablierung von institutionellen Schutzmechanismen gegen rechte Angriffe ankommt. Der folgende Beitrag stellt einige Überlegungen dazu dar.

Von Marie Reusch und Olaf Stuve

Verteidigung der Wissenschaft als Verteidigung der Demokratie

Die gesellschaftlichen Entwicklungen der letzten Jahre machen mehr und mehr deutlich, dass die Angriffe und damit eine Gefährdung demokratisch verfasster Wissenschaft durch die extreme Rechte größer wird und Spuren hinterlässt. Die Gefährdungen zu antizipieren und proaktiv mit Bedrohungslagen und Angriffen umzugehen, scheinen der Schlüssel für die Etablierung von Schutz für Wissenschaftler*innen im Konkreten zu sein. Darüber hinaus können diese Ansätze demokratische, das heißt vielperspektivische, kritische, reflexive, transparente und verantwortungsvolle Arbeits- sowie respektvolle Kommunikationsweisen im Allgemeinen fördern. Die Verteidigung der Räume der Wissenschaft gegen rechte Anfeindungen und Angriffe ist also gleichzeitig eine Verteidigung demokratischer Verhältnisse und Lebensweisen. Angesichts der gesellschaftlichen Entwicklungen kann es sich kein gesellschaftliches Feld mehr leisten, hier nicht proaktiv tätig zu werden – auch nicht die Wissenschaft und ihre Einrichtungen (vgl. Bahr 2024a, b).

Auf die Gründe, warum sich die Wissenschaft – als System methodengeleiteter Erkenntnisgenerierung und als soziales Feld – im institutionellen Umgang mit rechten Anfeindungen schwertut, ist an anderer Stelle eingegangen worden. Im Austausch und in den Diskussionen im Verlauf der Tagung sind neben den theoretischen Perspektiven und den kritischen Reflexionen auch vielfältige Möglichkeiten sichtbar gemacht worden, wie Hochschulen bereits mit rechten Angriffen primär- und sekundärpräventiv umgehen bzw. wie sie in Zukunft verstärkt damit umgehen sollten. Einige Aspekte, auf die es bei der Etablierung von institutionellen Schutzmechanismen ankommt, fassen wir hier zusammen. Dabei erheben wir weder den Anspruch, alle Ansätze wiederzugeben, wie sie auf der von über 100 Menschen besuchten Tagung geäußert wurden, noch einen erschöpfenden Überblick zum institutionellen Umgang mit rechten Angriffen gegen die Wissenschaft darzustellen.

 

Diskriminierungs- und Arbeitsschutz als wirksame Hebel

Eine wesentliche Erkenntnis der Tagung ist: Die wenigsten Angriffe sind von strafrechtlicher Relevanz. Die Erfahrung zeigt vielmehr, dass das Strafrecht im Ringen um den Schutz von Wissenschaftler*innen vor rechten Angriffen (z.B. in Form von digitaler Gewalt) ein für die betroffenen Personen zumindest sehr aufwendiges und selten erfolgreiches Instrument darstellt, das wenig präventiven Effekt hat (Hate Aid zum Umgang mit straf- und zivilrechtlicher Optionen). Gleichzeitig gibt es durchaus Rechtsinstrumente, die die Notwendigkeit eines proaktiven Umgangs mit rechten Angriffen begründen, ermöglichen und erfordern. Eines davon ist das Allgemeinen Gleichstellungsgesetz (AGG) und das in § 1 allgemein abgesteckte Ziel des Rechts auf Diskriminierungsfreiheit. Im § 2 werden unter den Anwendungsbereichen „Beschäftigungs- und Arbeitsbedingungen“ genannt. Für den Kontext rechter Angriffe gegen Wissenschaftler*innen erfordert das Erstnehmen des AGG, Diskriminierungen als solche anzuerkennen und den Schutz vor ihnen als institutionelle Aufgabe zu verstehen. Ein weiteres ist das Arbeitsschutzgesetz, das die Gewährleistung der psychischen und physischen Gesundheit der institutionellen Verantwortung des Arbeitgebers zuschreibt. Die Erarbeitung von Schutzkonzepten liegt damit nicht im Ermessen der einzelnen Hochschule, sondern kann aus der Gesetzeslage hergeleitet und eingefordert werden. Auf der Ebene des Arbeitsschutzes sind beispielsweise präventive Schutzmaßnahmen zu nennen, die sich z.B. im Erstellen von Gefährdungsbeurteilungen zeigen. Daraus können die Notwendigkeit von Supervisionen zur Abwägung von Risiken im Forschungs- und Veröffentlichungsalltag resultieren sowie die Beantragung einer Auskunftssperre des Melderegisters. Ersteres kann zu einer reflektierten Entwicklung von offensiven oder defensiven Strategien mit rechten Angriffen führen, letzteres ermöglicht zumindest einen gewissen Schutz des Privatraums von Wissenschaftlicher*innen. Darüber hinaus können Sicherheitskonzepte für öffentliche Veranstaltungen entwickelt und mit Ressourcen ausgestaltet werden. Hochschulen können in verschiedener Weise von ihrem Hausrecht Gebrauch machen, um nur einige Aspekte zu nennen.

 

Angriffe nicht individualisieren, sondern als strukturelle Herausforderung anerkennen

Aus Interviews mit Betroffenen von rechten Anfeindungen gegen die Wissenschaft weiß man, dass Bedrohungslagen und der Umgang damit in den Institutionen der Wissenschaft tendenziell individualisiert werden (vgl. Haker/Otterspeer 2023): Betroffene berichten davon, dass ihnen etwa empfohlen worden sei, sich in Argumentationstrainings zu schulen, um im Fall von Angriffen gewappnet zu sein, oder dass sie selbständig nach externen Beratungsstellen suchen mussten. Wenn jedoch der Umgang mit rechten Bedrohungslagen oder Angriffen in den Verantwortungsbereich Einzelner verwiesen wird, wird gleichzeitig die strukturelle Dimension des Problems negiert. Es handelt sich bei rechten Angriffen gegen Wissenschaftler*innen jedoch eben nicht um Einzelfälle, sondern um eine teils strategisch eingesetzte Vorgehensweise im Rahmen eines rechten Kulturkampfes. 

Dies zeigt: Weder die Bedrohungslage, noch der Umgang damit dürfen vereinzelt werden. Vielmehr muss die Bedrohungslage als Teil eines Angriffs auf demokratisch verfasste und kritisch ausgerichtete Wissenschaft verstanden werden. Der Umgang mit diesen Angriffen muss in akademischen Strukturen verankert werden. Diese Verankerung wird an einigen Orten bereits vorgenommen (ex. Radvan/Dhyr 2023), steckt aber fast überall noch in ihren Anfängen. Voneinander im Austausch zu lernen, wurde im Rahmen der Tagung als unumgänglich und hilfreich herausgestellt. Dabei ist betont worden, dass eine #LauteWissenschaft nötig ist, die die Demokratieverantwortung der Wissenschaft betont und die Strukturen entwickelt, die es dafür braucht.

 

Regelstrukturen nutzen bzw. schaffen

Aus der Einsicht, dass es sich um ein strukturelles Problem handelt, folgt: Der Umgang mit rechten Angriffen erfordert ein professionelles Vorgehen aus den Regelstrukturen der Hochschulen heraus. Derzeit sind es häufig von rechten Angriffen betroffene oder solidarische Studierende und Wissenschaftler*innen, die sich zusätzlich zu ihrer Forschungs-, Lehr- und Studiertätigkeit für den Aufbau von Sicherheits- und Unterstützungsstrukturen einsetzen und die entsprechenden Überzeugungskämpfe an Hochschulen führen. Für die nachhaltige Etablierung von Schutzmechanismen reicht das jedoch nicht aus. Vielmehr braucht es die Zusammenarbeit verschiedener Abteilungen mit ihren je spezifischen Expertisen und ihren professionellen Kompetenzen – von der Rechtsabteilung über das Facility Management bis zur Personalabteilung und zum Datenschutzbeauftragten. Akademische Einrichtungen und Hochschulen sind in diesen Fragen unterschiedlich weit entwickelt. Ein kooperativer Austauschprozess über bewährte Strukturen und Erfahrungen muss von Leitungsebenen vorangetrieben und unterfüttert werden.

 

Bündnisse auch über die Hochschule hinaus aufbauen

Gleichzeitig, auch das wurde auf der Tagung deutlich, erfordert die Abwehr von rechten Angriffen gegen die Wissenschaft vielfältige Bündnisse, die auch über die Hochschule und die Wissenschaft hinausweisen. Institute, Disziplinen, Statusgruppen und Hochschulen können wechselseitig von ihren Erfahrungen und ihrer Expertise profitieren, sich zusammenschließen und gemeinsam in der Abwehr rechter Anfeindungen tätig werden. Das gleiche gilt für Bündnisse zwischen Wissenschaft und Praxis, etwa mit Beratungsstellen wie SciComm Support, die Wissenschaftler*innen und Wissenschaftskommunikator*innen bei Angriffen und unsachlichen Konflikten in der Wissenschaftskommunikation unterstützen und beraten, Gegenrechtsschutz, die in Fällen rechtlicher Gegenwehr gegen autoritäre Angriffe beraten, vernetzen und anwaltliche Vertretung mitfinanzieren, oder dem Bundesverband mobile Beratung BMB e.V., der 50 mobile Beratungsteams vertritt, die vor Ort über fachliche Expertise in der Begleitung und Beratung in Fällen konkreter Angriffe wie auch bei der Institutionalisierung präventiver Maßnahmen verfügen. Darüber hinaus sind Bündnisse mit und unter Berufsverbänden, der Politik, Betroffenenvertretungen oder den (Fach‑)Medien) denkbar.

 

Buttom Up braucht Top Down – Rückendeckung von „oben“

Eine notwendige Bedingung für die Etablierung von institutionellem Schutz vor rechten Angriffen ist eine klare Ansage von oben. Dies gilt einerseits für Fördermittelgeber: Die Erstellung von Schutzkonzepten sollte selbstverständlicher Bestandteil in der Beantragung von Fördermitteln sein und budgetär geltend gemacht werden können. Dies gilt andererseits für die Leitungen einzelner Wissenschaftsorganisationen, insbesondere Hochschulen. Nur, wenn Hochschulleitungen ihre Verantwortung für die Sicherstellung von Diskriminierungs- und Arbeitsschutz ernst nehmen, kann ein proaktiver und antizipativer Umgang mit der Gefahr rechter Angriffe erfolgen. Erst dann kann Schutz vor rechten Angriffen systematisch aufgebaut werden, statt dem individuellen Umgang jener überlassen zu bleiben, die betroffen oder mit Betroffenen solidarisch sind. Dies bedeutet auch Arbeit an der Organisationskultur einer Institution. Untersuchungen zeigen, dass die Resonanz in einer Institution den wesentlichen Unterschied für die Art und Weise macht, wie ein Angriff erlebt und verarbeitet wird (Haker/Otterspeer 2023). Eine proaktive Auseinandersetzung mit der Gefahr rechter Angriffe signalisiert potentiell Betroffenen, dass die Institution nicht nur hinter, sondern auch vor ihnen steht und ihren Schutzauftrag ernst nimmt.

Literatur

Bahr, Amrei (2024a): Stimmen erheben für unsere Demokratie: Wissenschaft muss lauter werden! Arbeit in der Wissenschaft. https://arbeitinderwissenschaft.substack.com/p/stimmen-erheben-fur-unsere-demokratie.

Bahr, Amrei (2024b): #LauteWissenschaft: Nächste Schritte. Arbeit in der Wissenschaft. https://arbeitinderwissenschaft.substack.com/p/lautewissenschaft-nachste-schritte.

Haker, C., & Otterspeer, L. (2023). Wissenschaftsbezogener Rechtspopulismus/-extremismus an Hochschulen – Perspektiven von Betroffenen. ZRex – Zeitschrift für Rechtsextremismusforschung, 3(1), 102–117. https://doi.org/10.3224/zrex.v3i1.07

Radvan, H. & Dhyr, S. (2023): Handlungskonzept gegen (extrem) rechte Einflussnahme an der Brandenburgischen Technischen Universität Cottbus-Senftenberg. Sensibilisiert. Positioniert. Engagiert.  https://www-docs.b-tu.de/presse/public/Handlungskonzept-gegen(extrem)rechte-Einflussnahme-an-der-BTU_RZ.pdf