Wie wirken Rechtsextremismus und Geschlecht in der Demokratie?
Demokratie und extreme Rechte
Der Referenzrahmen der Rechtsextremismusforschung wird häufig nicht expliziert. Dieser Referenzrahmen ist die Demokratie. Da der Rechtsextremismus nicht aus dem Nichts heraus entsteht, sondern in der Auseinandersetzung der einzelnen Menschen mit sich und ihrer Umwelt, ist es wichtig, dass wir uns der Demokratie begrifflich annähern (vgl. Birsl, 2018). Auch deswegen, weil aus extrem rechtem Denken heraus eventuell strafbare Handlungen begangen werden.
Demokratie ist nicht nur eine Staatsform oder ein statisches Gebilde aus Organen und Institutionen politischer Herrschaft. Um sie zu verstehen, müssen wir das Wesen der Demokratie in den Blick nehmen. Demokratie ist so eine Herrschaftsform, in der die Chance angelegt ist, Konflikte auszutragen und politische Herrschaft immer wieder zu hinterfragen (Birsl, 2018, S. 372). Das ist der zentrale Unterschied von Demokratie und anderen Formen politischer Herrschaft. Zugespitzt formuliert Ursula Birsl: „Was nützt es, wenn Organe und Institutionen einer Demokratie zwar formal existieren und Gleichheits- und Freiheitsrechte über eine Verfassung garantiert sind, aber in Herrschaftsbeziehungen kaum wirkmächtig werden? Das prozessuale Verständnis von demokratischer Herrschaftsweise zielt auf Herrschaft als soziales und konflikthaftes Verhältnis sowie auf die Chancenstruktur in einer politischen Gesellschaft, über Herrschaftsverhältnisse zu reflektieren“ (Birsl, 2018, S. 372).
In einer Demokratie Konflikte auszutragen und politische Herrschaft immer wieder kritisch zu hinterfragen, birgt aber nicht nur emanzipatorische Möglichkeiten, sondern kann auch das politisch-praktische Ziel verfolgen, Demokratie zu verunmöglichen. Dies ist unter anderem der Fall, wenn wir die aktuellen Retraditionalisierungen im Geschlechterverhältnis und die extreme Rechte in den Fokus stellen.
An dieser Stelle sei darauf hingewiesen, dass sich extrem rechte Einstellungen auch immer wieder in der sog. „Mitte der Gesellschaft“ zeigen, wie es die „Mitte-Studien“ der Friedrich-Ebert-Stiftung und die Leipziger Autoritarismus-Studien seit Jahren belegen können. Gerade im erstarkenden Antifeminismus zeigen sich ähnliche Geschlechtervorstellungen zwischen (geschlechter-)konservativen und extrem rechten Akteur*innen (exemplarisch Birsl, 2020; Henninger, 2020; Lang & Peters, 2018). In dieser Doppelfunktion zeigt sich die Dialektik von Demokratie und Rechtsextremismus, da Demokratie nicht nur den gesellschaftlichen Fortschritt in sich trägt.
Demokratie und Patriarchat
Das Patriarchat kann in der Moderne als eine handlungsanleitende Struktur angesehen werden (Offenbartl, 1995). Die Moderne und so auch die Idee der Demokratie hängt mit der Umsetzung der gesellschaftlichen Ideen der Aufklärung in politischen und ökonomischen Strukturen zusammen und hält noch bis heute an.
Die Moderne kann als ein Bruch mit dem vorangegangenen Weltbild verstanden werden, wobei aber patriarchale Gesellschafts- und Denkstrukturen beibehalten und weiter ausgebildet wurden. Etwa schreibt sich Männlichkeit in die Konzeption des autonomen Subjekts ein. Diesem steht das bürgerliche Frauenideal gegenüber (vgl. Offenbartl, 1995, S. 15ff). „Die öffentliche Freiheit war nur ob der privaten Unfreiheit der weiblichen Mehrheit der Gesellschaft zu haben, das Postulat der Freiheit im Privaten enthielt strukturell immer die Notwendigkeit der Reproduktion der Produktionsverhältnisse auf der Basis eines falschen, weil doppelt halbierten Freiheitsversprechens. Insofern Öffentlichkeit der Ort des Politischen wurde, wurde Privatheit der Ort der vergeschlechtlichten Reproduktion des Öffentlichen“ (Salzborn, 2019, S. 16).
Hierbei geht es freilich nicht nur um die Bindung von Männern und Frauen an bestimmte gesellschaftliche Bereiche, sondern eben auch darum, dass diese mit männlich und weiblich konstruierten Merkmalen konnotiert werden, wie etwa die Zuschreibung des männlich, autonom und rational handelnden Subjekts zu öffentlichen Bereichen. Hierdurch wird das Männliche zur Norm, an der sich alle Mitglieder der Gesellschaft messen müssen. Wir können hier von der männlichen Herrschaft sprechen (Bourdieu, 2013). Diese stützt die Demokratie und untergräbt sie zugleich, da sie der freien Entfaltung der Individuen im Wege steht.
Auch in Bezug auf Gerichtsprozesse und Strafverfolgung zeigt sich: Demokratische Organe und Institutionen bauen auf der Trennung von Öffentlichkeit und Privatheit auf. So kann bspw. Patricia Rams (2022) in einer Analyse von Strafverfahren zu rechter Gewalt zeigen, dass in diesen Gerichtsverfahren trotz der Flexibilisierung der Geschlechterverhältnisse der letzten Jahrzehnte ein geschlechterrollenstereotyper Wahrnehmungsfilter wirkmächtig wird, „bei dem das männliche, autonome und rational handelnde politische Subjekt als Bewertungsmaßstab angelegt wird, an dem sich die Motivlage der Täter:innen und ihre Rolle bei der Planung und Ausführung der Tat bemisst“ (Rams, 2022, S. 85).
Zusammengefasst ist das Geschlechterverhältnis in seiner momentanen Ausgestaltung in demokratische Institutionen und Organe der politischen Herrschaft eingeschrieben. Gleichzeitig verhindert es auch die vollständige gesellschaftliche Umsetzung der Werte der Aufklärung von Freiheit, Gleichheit und Solidarität, da das Patriarchat die freie Entfaltung etwa von Frauen und queeren Personen verhindert. Gleichheit kann so auch nicht umgesetzt werden und es herrscht eher die Ausgrenzung als Solidarität.
Dialektik von Demokratie, Rechtsextremismus und Geschlecht
Das Patriarchat steht der Demokratisierung der Demokratie im Wege. Die extreme Rechte kann von der momentanen Retraditionalisierung des Geschlechterverhältnisses profitieren und sie ist auch in ihrem Interesse. Momentan zeigt sich die Retraditionalisierung des Geschlechterverhältnis in der Abwehr emanzipativer Geschlechterpolitiken. Die extreme Rechte kann hier auch von der Ähnlichkeit ihrer Geschlechtervorstellungen mit dem (Geschlechter-)Konservatismus profitieren (ausführlicher Birsl, 2020; Henninger, 2020). Das schwächt demokratische Verhältnisse.
Geschlossene Geschlechtervorstellungen der extremen Rechten und des (Geschlechter-)Konservatismus stehen somit dem Gedanken einer sozialen Demokratie entgegen, in der jede*r ohne Angst zu haben verschieden sein könnte. Im Weiteren erscheinen konservative Vorstellungen von Geschlecht als Einfallstor und Normalisierungsmotor für extrem rechte politische Ideen, da sie die patriarchale Basis gegen die tatsächliche Umsetzung von Freiheit, Gleichheit und Solidarität bilden.
Traditionelle Geschlechtervorstellungen haben einen Einfluss auf das Handeln von Menschen, das zeigt sich etwa in Gerichtsprozessen zu (extrem) rechter Gewalt, da in diesen Frauen als politische Straftäterinnen unterschätzt werden, obwohl sie entscheidende Funktionen etwa bei Mordanschlägen einnahmen (Lehnert & Radvan, 2016; Rams, 2023). Diesem sollte die Idee der sozialen Demokratie und der Entkopplung patriarchaler Denkmuster aus demokratischen Institutionen und Organen entgegengesetzt werden. Hoffnung lässt sich hier aus dem Wesen der Demokratie schöpfen, wodurch intern und extern Kritik an patriarchalen Denkmustern in den Institutionen geübt werden kann. Diese Kritik müsste sich dann folglich noch praktisch entfalten.
Literatur
Birsl, Ursula 2018: Die Demokratie und ihre Gegenbewegungen: eine kritische (Selbst-)Reflexion zu Begriffen und Referenzrahmen in der Rechtsextremismusforschung. In: Politische Vierteljahresschrift (PVS), Jg. 59, H. 2, 2018, S. 371–384
Birsl, Ursula (2020). Paradoxien und Aporien des Antifeminismus. Eine demokratietheoretische Einordnung. In Annette Henninger & Ursula Birsl (Hrsg.), Antifeminismen. „Krisen“-Diskurse mit gesellschaftsspaltendem Potential? (Gender studies, S. 43–55). Bielefeld: transcript. doi.org/10.1515/9783839448441-002
Henninger, Annette (2020). Antifeminismen. ‚Krisen‘-Diskurse mit gesellschaftsspaltendem Potenzial? In Annette Henninger & Ursula Birsl (Hrsg.), Antifeminismen. „Krisen“-Diskurse mit gesellschaftsspaltendem Potential? (Gender studies, S. 9–41). Bielefeld: transcript. https://doi.org/10.1515/9783839448441-001
Lang, Juliane; Peters, Ulrich (2018): Antifeminismus in Bewegung: aktuelle Debatten um Geschlecht und sexuelle Vielfalt. Hamburg: Marta Press.
Offenbartl, Susanne (1995): Keine Moderne ohne Patriarchat? Das Geschlechterverhältnis als handlungsleitende Denkstruktur der Moderne; ein politikwissenschaftliches Modell. Opladen: Westdt. Verl.
Salzborn, Samuel (2019). Globaler Antisemitismus. Eine Spurensuche in den Abgründen der Moderne (Schriftenreihe der Bundeszentrale für politische Bildung, Sonderausgabe für die Bundeszentrale für politische Bildung). https://doi.org/10.3790/hpb.67.2.293
Rams, Patricia 2022: Unpolitische Frauen, männliche Anführer und feminisierte Mitläufer – Geschlechterrollenstereotype Wahrnehmungsfilter in aktuellen Verfahren zu rechter Gewalt. In: Demokratie gegen Menschenfeindlichkeit, Jg.7, H. 1, 2022, S. 76-88.